Zutaten für den sommerlichen Abendspaziergang – Eis am Stiel, irischer Whiskey und ein nasenberingter Bulle

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Reto Bachofner
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Aus der Kategorie: Rundreise

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Es ist der wärmste Tag des Jahres. Es riecht nach frisch gemähtem Gras. Die Farmer haben ihre Arbeit aber deswegen noch nicht beendet. In den Stallungen werden schwarz-weiss gefleckte Kühe gemolken um anschliessend für die Nacht auf eine andere, frische Wiese gebracht zu werden.

Am Himmel zeigen sich nur vereinzelt einige Wolken, welche sanft wie weisse Wollknäuel dahin schweben. Rekordverdächtige 22 Grad zeigt das Thermometer an. Für irische Verhältnisse schon fast Hochsommer. Wen wundert es, dass an der Tankstelle unten im Ort sich Jung und Alt mit Eiscreme versorgt haben.

Oben in den Hügeln über Bandon bietet niemand gefrorenes Wasser mit Schokolade überzogen feil. Anstelle ein Eis am Stiel in den Rachen zu stopfen pumpe ich frische, irische Landluft in mich hinein. Atemzug für Atemzug füllen sich meine Lungen mit dem kostbaren Gut und ich merke wie ich mich mit jedem Schritt besser fühle.

Was doch eine kurze Autofahrt hinauf in die Hügel alles ausmacht. Unten im Tal das Lebendige, vom Bandon River zweigeteilte Dorf, welches gerade den abendlichen Feierabendverkehr durch die engen Strassen schlucken muss. Die Blechlawine quält sich durch den Ort. Nadelöhr ist die eine Brücke, welche für Autos passierbar ist.

Hier oben nichts als Grün und Stille. Fährt man den holprigen Weg hier hoch, fühlt man sich sofort wie im Urlaub.

Ich bin dem Tohuwabohu durch eine Abkürzung entflohen. Vorbei an der alten Destillerie von Allman’s Whisky geht es auf enger, mit Schlaglöchern zum Teil nur so übersähter, Strasse hoch ins Townland – Ratharoon nennt sich dieser Teil oberhalb von Bandon.

Mein erstes Ziel ist es die Arbeitskluft abzulegen. Diese besteht aus einer braunen, feingewebten Chino-Hose und einem bunten, dezent kariertem Langarmhemd. Der Arbeitsmief muss so schnell wie möglich weg. Fix ist der ungeliebte Anzug ausgetauscht gegen eine weite Freizeithose und ein bequemes Shirt. In die vom letzten Spaziergang noch schmutzigen Wanderschuhe schlüpfe ich, auf dem Türabsatz sitzend. Schliesslich soll der frisch gebohnerte Parkettboden nicht mit lustigen, schwarzbrauenen Erdkrümmeln verziehrt werden.

Spaziergang in Irland Die schwarze Wolke schiebt sich vor die Sonne und wirft den Horizont und die Wiesen in ein ganz besonderes Licht

Kaum beginne ich meinen ausgedehnten Spaziergang zieht eine fette, schwarze Wolke genau über mir auf. Unwissend, ob gleich ein Regenguss babylonischen Ausmasses ausbrechen wird oder ob ich trockenen Fusses nach Hause komme ziehe ich unverdrossen weiter. Herrlich diese Ruhe.

Von Nah und Fern geben Hunde ihr Abendgebell zum Besten. Wie so oft fängt einer der Hofhunde an und die Nachbarshunde stimmen umgehend mit ein. In den Bäumen, Sträuchern und in der Luft segelnd machen sich derweil Vögel bemerkbar und ergänzen das Gekläffe mit fröhlichem Zwitschern. Das Ganze vereint sich zu einer wirren Melodie, welche über die Wiesen der Hügel und aus den Baumkronen zu mir getragen wird.

Dazwischen ertönt ein merkwürdiges, regelmässiges “Plopp”. Da sonst hier meist Totenstille herrscht, frage ich mich was dies für ein Geräusch sein könnte. Ist es nicht sonderbar, wie schnell wir uns anpassen? In einer Stadt würde ich dem Geräusch keine Beachtung schenken. Vielleicht würde ich es nicht einmal warnehmen. Hier auf dem Lande aber, sorgt jedes noch so fremdklingende Geräusch sofort für Aufmerksamkeit. “Plopp, “Plopp”, “Plopp” tönt es im Sekundentakt.

Einige Schritte weiter stosse ich auf des Rätsels Lösung. Ausgerüstet mit einem roten, von Sponsorennamen zugekleisterten Shirt und einem verkürzt ausschauendem Landhockeystock jongliert der Nachbarsjunge gekonnt mit einem kleinen Ball. Ab und zu drischt er den Lederball mit grosser Wucht und in hohem Bogen ins kniehohe Gras. Ob er den Sliotar, wie die Iren den Ball nennen, wieder findet? Der Landhockeystock entpuppt sich auch nicht als ein selbiger. Der auch heute noch von Hand gefertigte Schläger aus Eschenholz nennt sich Hurley.

Hurling. Das Spiel wird mit je 15 Mann gespielt, ist unglaublich schnell und die Spieler liefern sich packende Duelle. Es ist der Nationalsport der Iren und wenn jeweils im September zwei Countys zum grossen Finale im Dubliner Croke Park antreten, dann steht das Land für zwei Stunden still.

Die Stille vor Ort wird durch zwei Flugobjekte jäh unterbrochen. Die eine Maschine ist ein kleines, zweimotoriges Propellerflugzeug. Das andere Flugzeug ist grösser und trägt die Aufschrift “AerLingus”. Ein Flieger, welcher in Cork landen und einige neue Touristen auf der immergrünen Insel absetzen wird.

Abendspaziergang in Cork

 

Das Flugzeug verschwindet bald am Horizont und ist nur noch als kleiner, silbrig glitzernder Punkt am Horizont wahrzunehmen. Lediglich ein schmaler Kondensstreifen zeugt von seiner Existenz. Irland wird seine Besucher mit der im Westen tiefstehender Abendsonne, wenigen Wolken und angenehmen Temperaturen empfangen. Da werden einige vielleicht enttäuscht sein, weil es nicht Bindfäden regnet wird.

Ganz auf Sommer eingestellt ist eine Frau in kurzen Hosen und Tanktop, welche mir mit Sohnemann und den zwei Hunden entgegenkommt. Interessiert beschnuppern mich die Vierbeiner, zwei kleinwüchsige Bordercollies. Die Frau grüsst freundlich “Hi, lovely Day – isn’t”? Der Dreikäsehoch ist da zurückhaltender, winkt mir dann doch fröhlich mit der linken Patschhand zu.

Wir kreuzen einander vor einem der zahlreichen prächtigen Häusern im irischen Stil. Vor diesem wird gerade Wäsche zum Trocknen aufgehängt und so beginnen die beiden Frauen miteinander im breitesten Cork-Akzent zu parlieren. Derweil ziehe ich von dannen. Chancenlos auch nur einen Bruchteil zu verstehen.

Der nächste Nachbar sitzt derweil auf einem Rasenmäher und steuert sein Gefährt sicher und zielstrebig durch den Garten. Er zieht wahre Bahnen in diesen, denn wo er durchfährt bleiben nur noch kurze Grashalme zurück. Dies erinnert mich an die Schulzeit zurück als der Hausmeister dem Schulrasen auf dieselbe Weise einen akuraten Schnitt verpasste und wir Jungs während dieser Zeit den Rasen nicht betreten durften um Fussball zu spielen.

Auf der anderen Seite des Weges spriessen grüne Halme aus dem riesigen Feld. Zuwenig Landwirt oder Botaniker, bleibt mir das Wissen um was es sich handelt verborgen. Möglicherweise ist es Sommerweizen, welcher im Juli wird geerntet werden können. In den Hügeln rings um Bandon war der Weizenanbau schon seit jeher eine wichtige Einnahmequelle für die Bauern. Den dieser wurde im Tal für die Produktion von Whiskey verwendet.

Für etwas mehr als 100 Jahre war die Allman’s Distillery als einer der weltweit bekanntesten Whiskyexporteure tätig. Das Malzhaus war neben jenem der Guinnessbrauerei in Dublin das Grösste seiner Art im Vereinigten Königreich, zu welchem Irland in jenen Jahren auch zählte. Bis zu 400 Arbeiter beschäftigte die Destillerie zu ihren Glanzzeiten. Erst die Prohibition in Amerika leitete den Niedergang dieses vor allem auf den Export fokussierten Traditionsbetriebes ein. Einige Jahre wurde noch produziert, aber im Jahr 1929 schloss Allman’s für immer seine Tore. Mit dem Ende der Destillerie verloren nicht nur die Angestellten ihre Arbeit, sondern auch die Farmer ihren Hauptabnehmer für den Weizen.

Heute zu sehen ist noch das eine grosse Lagerhaus und aus dem ehemaligen Bürogebäude wurde in den 1960er ein Pub. Das “Old Still” zieht noch heute vorwiegend lokales Publikum zum Pint trinken an. Touristen oder Fremde verirren sich eher selten hinein. Dabei gibt es eine der seltenen Flaschen Allman’s Whisky zu bestaunen. Diese wurde bei einem Brand 1971 arg in Mitleidenschaft gezogen.

Zurück auf dem Weg werde ich interessiert von einigen Eseln beäugt. Die grauen Tierchen mit den langen Ohren stellen das Fressen des saftigen Grases für kurze Zeit ein um einen Augenschein zu nehmen wer da daher kommt. Es könnte ja jemand was leckeres vorbeibringen? Da dies nicht der Fall ist verlieren die Grauen ihr Interesse und ich erhalte keinen Familienanschluss. Schade aber auch.

Irland und seine Esel Neugierige Esel auf der Wiese. Für den Familienanschluss hat es mir nicht ganz gereicht

Die Langohren haben eine ebenso lange Tradition auf der Insel. Einige Leute sind sich sogar sicher, dass Esel den höheren Rang haben sollten was den typisch für Irland ist. Das ist nicht ganz unwahr. Die Tiere haben über Jahrhunderte das Bild von der Grünen Insel geprägt. Kein idyllisches Postkartenmotiv aus Irland ohne den Esel, welcher vor einem Karren gespannt, Waren vom Feld in die Scheune transportiert. Sie waren ein das Nutztier schlechthin und dienten dem Farmer treu über Jahrhunderte.

Erst mit dem grossen Aufschwung der Konjunktur und dem Einzug des keltischen Tigers – und somit dem Wohlstand – verloren die Esel ihren Status. Schwere Maschinen übernahmen deren Arbeit. Die Bauern konnten sich ja jetzt Traktore, Quads und allerhand sonstiges Arbeitsmaterial leisten. Die Lasttiere gingen in Vergessenheit, wurden ausgesetzt, einfach auf der Wiese stehen und sich selbst überlassen. Ein trauriges Kapitel irischer Geschichte.

Einer der Traktore rattert mit lautem Getöse an mir vorbei. Auf dem engen Feldweg muss ich aufpassen nicht etwa mit der im Wind flatternden Jacke am Gefährt hängen zu bleiben. Das wäre ein ganz unschöner Tod. Zermalmt vom Anhänger eines Traktors. Da rieche ich lieber weiter den Duft von Vanille, welche der Ginster verströmt. Dieser blüht an dieser Stelle links und rechts der Strasse, gelb und prächtig wie immer im Frühling.

Doch die nächste Gefahr auf meinem Spaziergang lauert schon auf der nächsten Wiese. Einige Jungstiere sind auf mich aufmerksam geworden und kommen hurtig angespurtet. Gut ist ein Zaun dazwischen. Ob dieser der Herde der Jungspunde standhalten würde? Ich will gar nicht erst die Probe aufs Exempel machen und gehe meines Weges weiter. Doch da vernehme ich ein schweres Schnauben und stampfen. Zur Herde auf der anderen Seite des Zaunes gesellt sich nun nämlich Papa Bulle! Das riesige, tonnenschwere Tier ist schwarz wie die Nacht und irgend ein mutiger Farmer hat ihm einen schicken Nasenring verpasst.

Ob sich der Stier deswegen mich nun als Racheopfer ausgeguckt hat will ich gar nicht näher herausfinden. Und mache mich flugs aus dem Staub.

Rinder in Irland Dieser Bulle scheint keinen Spass zu verstehen. Ich wäre auch sauer, hätte man mir einen Nasenring verpasst.

Na toll. Ein so schöner Sommertag und ich habe die Wahl entweder von einem Traktor überrollt oder von einem Bullen zertrampelt zu werden. Vielleicht ist Spazierengehen oder Wandern in Irland doch nicht so ungefährlich?

Der weitere Weg verläuft aber friedlich. Es geht vorbei auf einer der wunderbaren Boreens’ wie man hier einen Feldweg nennt. Gesäumt ist dieser links und rechts mit einigen Meter hohen Bäumen und Gesträuch, Farn und auch einigen bunten Blümchen. Diese haben es sich bequem gemacht auf alten Trockenmauern, welche über die Jahrzehnte vom Grünzeug überwuchert wurden.

They’re the ones that you see when you wake up screaming. The ones that follow you down the boreen. They live in the small ring of trees in the hill Up at the top of the field

Dieser Teil hier unten ist einer meiner Lieblingsabschnitte auf meinem Spaziergang. Wenn immer möglich gehe ich den Weg wöchentlich einmal. Immer wieder fühle ich mich versetzt in einen Märchenlandschaft. Der gesäumte Feldweg, der Blick hinüber zu den anderen Hügeln und hinunter ins Tal, die unbekannte, ebenfalls überwucherte Ruine eines Hauses und mein Lieblingsbaum. Dieser ganz alleine stehend mitten auf der Wiese mit freiliegenden Wurzeln, so alt wie die Ruine einige hundert Meter weiter vorne.

Wie doch die Vegetation hier manchmal sonderbare Blüten treibt? Ein Baum, welcher trotz freiliegender Wurzeln, jedem Wind und Wetter stoisch trotzt und sich niemals beugen wird. Aus Steinen empor quellende Farne, Gras, Blumen und sonstiges Grünzeug. Dies alles Trotz des vielen Regens. Oder ist es gerade wegen des manchmal anhaltenden Dauerregens? Aber auch die Pflanzen scheinen die warme Frühlingssonne von heute zu geniessen und strecken sich gen Himmel empor. Wie sich dieses Land doch unglaublich verändert, sobald die Sonne nur ein bisschen hervorlugt.

Ein Spaziergang auf der Grünen Insel Grün soweit das Auge reicht! Auf der Wiese der Baum dessen Wurzeln sich zum Teil über dem Erdreich sich befinden

Im Winter kann es hier tagelang regnen. Doch einige Minuten Sonnenschein geben der Natur die nötige Kraft um zu spriessen, zu wachsen und gedeihen. Derweil schafft es die unfassbar schöne, sanfte Landschaft den Menschen glücklich zu machen und ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern.

Mit der Sonne ist all der Regen und die Dunkelheit schnell vergessen. Schöne Tage oder seien es gar nur einige Stunden erhalten hier ihre verdiente Wertschätzung. “It’s a lovely Day, isn’t?” Diese Worte reissen mich aus meinen Gedanken. Den die Frau mit Hund und Nachwuchs von vorher kreuzt meinen Weg erneut.

Ja, da hat die Gute sowas von Recht. Es wird nun Zeit mich auf den Heimweg zu machen.

In der Tiefkühltruhe wartet noch ein leckeres von zarter Schokolade überzogenes Eis auf mich.

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